Dankbarkeit als Schlüssel zum Glück: Ein Blick auf Erntedank und gesellschaftliche Unzufriedenheit
Irgendwann ein zwei Jahre nach der Wende las ich in einem Artikel über die glücklichsten Deutschen und die unglücklichsten Deutschen. Erstere wohnten damals in Osnabrück und letztere in meiner Heimatstadt Dessau. Nun sicher gab es da noch den Ossi-Besonderheit, dass nach der Wende erst einmal alles am zusammenbrechen war und die alten SED – Eliten weiterregierten in der SPD, der CDU und der FDP… – um es mal etwas plakativ zu beschreiben. Aber der Artikel wies für mich auch auf zwei drei wichtige Dinge hin, die vielleicht auch erklären können, warum es heute, obwohl es vielen viel besser geht als vor 20 oder 30 Jahren, die Unzufriedenheit wächst; und nicht nur im Osten wird die Stimmung immer blauer bzw. demagoginröter.
Was ließ die Bewohner Osnabrücks so besonders glücklich sein? Ihre Stadt war nicht zu groß, sodass sie noch überschaubar war. Alle hatten ein einigermaßen gutes Auskommen und fühlten sich am richtigen Platz, wo sie gesehen und gebraucht wurden. Kulturell war das zwar nicht zu vergleichen mit den großen Zentren, aber den meisten genügte es – und sie waren sich dessen mit einer gewissen Dankbarkeit bewusst, dass es ihnen gut geht.
Im Osten war damals gerade alles am Zusammenbrechen, es herrschte leider die neoliberale Agenda der Kohl-Ära, die auch unter Merz wieder droht. Den Ossis, auch wenn sie gute Ideen hatten, wie eine Firma weiterführbar wäre, vertraute die Treuhand nicht und verscherbelte vieles lieber an westliche Firmen, Hedgefonds und Banken, auch wenn diese offensichtlich nicht an der Produktionsstätte bzw. den Arbeitern Interessen hatten, sondern eher an den Vertriebsstrukturen und/oder den Grundstücken. Hungern musste zwar keiner, aber fast eine ganze Generation der 40 bis 50 Jährigen schrieb man schon damals als zu alt ab – sie wurden nicht mehr gebraucht. Ihre Lebenserfahrung wurde entwertet mit dem neuen System, dass vielen übergestülpt wurde. Und auch hier war ihnen bewusst, was ihnen alles fehlt. Meine Heimatstadt hat ca 1/3 der Bevölkerung verloren. Aber was hat das mit Erntedank, dem blau- oder demagoginrot werden und was mit Erntedank zu tun?
In alten Zeiten selbst in der feudalen Gesellschaft des Mittelalters war alles schön und gut, wenn es ein gutes Jahr gab, indem die Katastrophen und Kriege ausgeblieben waren und eine gute Ernte eingefahren werden konnte. Da war selbst für die Ärmsten und die Kranken genügend da. Aber es kam des Öfteren vor, dass dem nicht so war. Dürre während der Wachstumszeit oder Nässe während der Ernte, konnten ganze Regionen und Länder in Hungerkrisen stürzen. Der Adel damals betrachtete es als Sport während des Frühjahrs bis in den Herbst, einander zu überfallen, um sich diese oder jene Ländereien abzujagen oder irgendwelche vergangene Schmach zu rächen. Dabei nahm man natürlich weder damals Rücksicht auf Bauern, ihre Felder und die Not der Armen, wie es auch heutigen Raubrittern (Hedgefonds, Spekulanten und Großkonzernen) egal ist, wie es den einfachen Arbeitern geht, die nicht jeden Monat mindestens 8-10.000 Euro verbraten können.
Eine gute Ernte und genug zu Essen war nicht selbstverständlich und ist es auch heute nicht. So war auch der Dank auf dem Lande nicht gespielt; wusste man doch, wie vieles man selber nicht in der Hand hatte, trotz aller harter Arbeit. In vielen bäuerlichen Kulturen wurde und wird dessen darum auch noch gedankt mit äußerst aufwendigem Brauchtum. Dankbarkeit ist zentral für eine Zufriedenheit und Glück.
Das war auch in biblischer Zeit so. Die drei großen Wallfahrten und Feste in Israel sind verknüpft mit drei großen Erntedankfeiern; zu Pessach (Ostern) die Gerstenernte; Pfingsten zur Zeit der Weizenernte und das Laubhüttenfest zur Zeit der Weinernte. Dreimal im Jahr verließ man den Ort, wo man wohnte, um Dank zu sagen.
Und hier sind wir auch schon wieder beim Anfang. Warum sind die einen glücklich und die anderen unglücklich? Selten deswegen, was sie haben oder nicht haben; meistens darum, wenn sie sehen und wert schätzen können was sie haben und aneinander haben. Und unglücklich wird man dann, wenn man den Blick auf das wendet, was man nicht hat und meint, dass es einem eher zustünde. Ohne Dankbarkeit sieht man nicht, was man hat, und zerstört dadurch auch genau das wieder; ja noch mehr. Ohne den dankbaren Blick auf das was ich habe und jetzt schon bin, zerstöre ich auch die Gesellschaft, die mich trägt und werfe sie Demagogen zum Fraß vor, die für alles, scheinbar einfache Lösungen haben. Und in der Tat, es gibt für jedes noch so komplexe Problem eine einfache Lösung und die ist falsch.
Nicht falsch aber liegen wir mir der Dankbarkeit. Am 6. Oktober (dem Sonntag nach dem Tag der Erzengel) feiern auch wir hier im Hause wieder unser Erntedankfest.
Adrian Kunert SJ
Katholischer Seelsorger